Montag, 16. März 2015

SPASS MIT SAUERTEIG - AUF ABKÜRZUNGEN ZUM EIGENEN STARTER

Levain aus vergorenem Apfelmus!
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Für jeden ernsthaften Hobbybrotbäcker kommt irgendwann der Tag, an dem er oder sie sich nicht mehr nur mit Hefe zufrieden geben will, sondern sein sein begehrliches Auge auf den Star unter den Startern richtet - den selbstgezüchteten Sauerteig!

Zwar gibt es fertigen Sauerteig in kleinen Päckchen zu kaufen, aber jeder, der ihn schon einmal ausprobiert hat, kann das bestätigen: das Wahre ist er nicht, und das damit erzielte Ergebnis lässt sich in keinem Fall, triebmässig und geschmacklich, mit "richtigem" Sauerteigbrot vergleichen.

Der übliche Weg zum eigenen Starter führt über Wasser-und-Mehl-Gemische, die mit der Zeit durch wilde Hefen und Milchsäurebakterien besiedelt, vertilgt und vergoren werden. Diese Mikroorganismen werden uns mit dem Mehl frei Haus geliefert (sie haften nämlich am Getreide) und sturzbomben andererseit aus der Luft in unser Schüsselchen mit Teigansatz.

Hagebuttenmarmelade mit Rotwein & Äpfeln
Vor drei Jahren stiess ich per Zufall auf einen Schleichweg, um schneller zu einem zu einem vollgültigen Sauerteig zu kommen.

Ein Glas meiner selbstgemachten Hagebuttenmarmeladen hatte nämlich zu lange ungekühlt in der Küche gestanden, und war vergoren.

Mein Ärger über dieses Malör veranlasste mich zu einem Experiment.

Mal sehen, was passiert, wenn ich ein Löffelchen alkoholisierter Hagebuttenmarmelade mit Mehl und Wasser verrühre.

Und siehe da: elf Stunden später hatte ich einen lebhaft blubbernden Starter, der am nächsten Tag das Anstellgut für ein Pain au Levain à la Jan Hedh lieferte!

Rose Hip Levain  - mit Sauerteig aus vergorener Marmelade!

Als ich vor einem Monat im Kühlschrank ein angebrochenes, aber schmählich vergessenes Glas Apfelmus aufstöberte, das beim Öffnen einen deutlichen Alkoholgeruch verströmte, erinnerte ich mich sofort an mein damaliges Marmeladen-Experiment.

Apfelmus mit Bläschenbildung und Alkoholfahne
Ich wollte ohnehin gerade ein Brot von meinem Brotkorb für Götz von Berlichingen nachbacken. Khalid's Götzenburg-Brot hat eine fruchtige Note: da schien mir ein Starter auf Früchtebasis äusserst passend.

Zweimal, morgens und abends, gefüttert, verrührte ich 25 Gramm des neuen Apfelmus-Starters wie ganz normales Anstellgut mit Wasser und Mehl (Weizen, Roggen und Dinkel) in einer Schüssel, und liess den Dingen über Nacht ihren Lauf.

Mein Vertrauen in die Power alkoholisierter Früchte (wer daran zweifelt, hat noch nie zu viele Bowlen-Pfirsiche genossen) wurde nicht enttäuscht: am nächsten Morgen hatte ich einen ausgeruhten, aufgepufften Starter - ready for action!

Khalid's Brot mit Rosinenpüree ging ordnungsgemäss auf, und bewies auch im Backofen die wundersame Schubkraft des Apfelmus-Starters. Es schmeckte uns ausserordentlich gut, und wird demnächst vermutlich auch meine Kunden bei A&B Naturals erfreuen (hier ist der Link zu meinem Post).

Khalid's Brot: mit der Power alkoholisierter Früchte

Nun hat ja nicht jeder vergorene Marmelade zur Hand, und ordentliche Hausfrauen (und ihre Ehemänner) brauchen ihre Apfelmusvorräte auf, bevor sie umschlagen. Aber es gibt auch Möglichkeiten - für Neat-Freaks und Leute, die nicht so viele Backzutaten, Saucen und Chutneys in den Kühlschrank stopfen, dass sie jeden Überblick verlieren.

Es gibt noch andere Fundorte für hungrige, gärwillige Mikroorganismen - zum Beispiel den Supermarkt (nein, dies ist kein Ruf nach dem Gesundheitsamt!)

Joanna Ferguson's (Zeb Bakes) Kefir-Hartweizengriess-Brot inspirierte mich zu einem neuen Experiment. Ihr Starter enthält selbstgemachten Milch-Kefir. Ob ich mir die Lebendkulturen von schlichtem Supermarkt-Kefir ebenfalls zu Backhelfern machen konnte?

Kefir-Starter: Bläschen als Anzeichen für Aktivität
Mein erster Versuch, wie Joanna direkt mit Kefir aus dem Kühlschrank zu arbeiten, liess sich zwar gut an, mein Brot ging schön auf, aber das Ausstülpen aus dem Gärkorb endete mit totalem Einsturz.

Die Teigstruktur schien zu fragil für diese Behandlung, und auch die Ofenhitze konnte dem kümmerlichen Fladen kein neues Lebenszeichen entlocken. 

Aber nun war mein Ehrgeiz geweckt, und beim zweiten Mal ging ich vor wie beim Marmeladen-Levain. Ich mischte 10 g Kefir mit der doppelten Menge Mehl (halb Vollkornweizen/halb 550) und Wasser, und liess ihn in an einem warmen Ort in der Küche stehen.

Tatsächlich zeigte er einige Stunden später durch Bläschenbildung an, dass ihm diese Behandlung behagte, und ich setzte die Fütterung über die nächsten beiden Tage fort.

Am dritten Tag unterzog ich meinen Kefir-Starter einem neuen Test - mit einem "gekniffenen anstatt gekneteten" Brot à la Ken Forkish. Das Ergebnis sah schon deutlich besser aus, auch wenn die Krume an einigen Stellen noch recht dicht war (die unregelmässigen Gasblasen sind erwünscht!), und das Overnight Cornmeal Bread schmeckte auch.

Mit 3-Tage alter Kefir-Levain gebacken: verdichtete Stellen, aber schon essbar

Über die nächsten Tage, von Fütterung zu Fütterung - alle 24 Stunden - stieg und fiel mein Kefir-Levain genauso wie es Chad Robertson von Tartine für seinen Starter vorsieht. Denn ein Brot à la Tartine, von vielen als Heiliger Gral der Brotbackkunst angesehen, sollte meinen jungen Sauerteig einem endgültigen Stresstest unterziehen.

Und so sieht das Vollkornreis-Porridge-Brot aus, das mit dem 8 Tage alten Kefir-Starter gebacken wurde:

Brown Rice Porridge Bread von Tartine No. 3

Der Jung-Starter funktionierte wie ein echter Profi und sorgte für einen Antrieb und Geschmack, wie ihn auch mein altgedienter Sauerteig nicht besser fertiggebracht hätte!

Den Segen des Meisters habe ich obendrein auch noch bekommen: Chad Robertson "favorited" mein Brot auf Twitter :)

 Chad Robertson "favorited" mein Brot

Update: Erstaunlicherweise riecht der Kefir-Starter auch nach 6 Monaten und normalem Füttern mit Mehl und Wasser noch sehr angenehm süsslich nach Milch, nicht säuerlich, wie meine anderen Starter!

12 Kommentare:

  1. Ideereich, Katrin.... solch erfolgreiche Experimentierfreude kenne ich sonst nu von meiner Freundin Ingrid (einer Mikrobiologin) -.. die mir den Rat gab, bei einer Lievito Madre das füttern mit sehr unterschiedlichen Honigsorten (Heidehonig, Honog aus der Camargue und einem mexikanischen Honig) zu versuchen. Aber man könnte sicherlich auch mit Met etwas zaubern, was meinst du?

    Tolles Brot, das dir da gelungen ist....groses Kino!


    Mit lieben Grüßen

    von der Mehlkäferin

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    1. Unterschiedlicher Honig - das ist interessant. Hast du es schon ausprobiert? Ich kann mir das mit dem Met gut vorstellen, ich habe schon an nicht pasteurisierten Cidre gedacht. Jedenfalls ist mein Spieltrieb geweckt. Ich habe gerade schon wieder ein Brot mit diesem Starter gebacken, jetzt, nach 2 Wochen, riecht er schon wie ganz normaler Sauerteig. Anfangs hatte er einen wunderbaren Sauermilchduft.
      LG, Karin

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    2. Ich mache meinen Sauerteig immer nur mit Mehl, Wasser und Honig. Immer mexikanischer superguter Honig, da ich in der mex. Provinz lebe. Viele Grüsse an alle Brotbäcker/innen <3 Christa

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    3. Wo in Mexiko lebtst du denn, Christa? Ich bin jedes Jahr eine Woche in der Nähe von Playa del Carmen, und habe mir auch schon Honig mitgebracht (und Vanilleextrakt).

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  2. Das ist das Interessanteste und Witzigste, was ich seit langer Zeit zum Thema Sauerteig gelesen habe. Gratulation zu dieser schönen Idee!
    Was ich zum gleichen Thema auch sehr nett und originell fand, war ein Interview in der taz mit dem fränkischen "Freibäcker" Arnd Erbe. Der machte sich ein bisschen lustig über die Inflation der uralten und noch älteren Sauerteig-Kulturen, von denen man in letzter Zeit liest ("..meiner ist seit hundert Jahren in der Familie." - "Meiner war vor hundert Jahren schon ein gaaanz alter Saurteig!" - "Meinen hat schon Karl der Große als ganz junger Mann zweimal verlängert." ...)
    Arnd Erbe stellte dem selbstbewusst den Spruch "Vielfalt zählt mehr als Alter." entgegen und seine Idee des "Friendship-Sourdough", für den er jeden Kollegen, den er neu kennenlernt, um einen Löffel voll Gen-Bereicherung bittet.
    Weiß auch nicht, wieso mir diese Geschichte gerade jetzt einfällt ... Jedenfalls bei dieser Gelegenheit vielen Dank für Deinen interessanten Blog, ich schau immer mal gerne herein. Günther Weber

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    1. Danke, Günther, über so ein nettes Kompliment freue ich mich natürlich sehr! Ich bemühe mich, meine Posts einigermassen unterhaltsam zu schreiben, und nicht alles so bierernst zu nehmen.
      Hierzulande wird ja so ein grosses Theater um den echten San Francisco Sourdough gemacht, den man sich für teuer Geld in kleinen Päckchen bestellen kann. Zwar gibt es ja tatsächlich Mikroorganismen, die nur in der Gegend um San Francisco vorkommen, aber je öfter der Teig dann mit einheimischem Mehl gefüttert wird, desto mehr wird der Starter zum ganz gewöhnlichen Allerweltssauerteig.
      Die Idee mit dem Friendship-Sourdough ist eine gute Idee - und Recht hat der Mann.
      Ich amüsiere mich immer ein bisschen, wenn ich in Hobbybäcker-Foren lese, welchen ungeheueren Aufwand manche Leute mit ihren Sauerteigen betreiben - ängstliche Beobachtung rund um die Uhr, füttern auf die Minute genau immer um die gleiche Zeit usw. Meine Sauerteigfamilie ist dagegen robust und pflegeleicht, und liefert anständige Brote ohne ständige Verhätschelung.
      Dein Buch steht übrigens auf der Liste der zu bestellenden Bücher, wenn ich das nächste Mal nach Deutschland fliege - und vielleicht bekomme ich meinen Mann ja noch dazu, einen Holzbackofen im Garten zu errichten (schliesslich kann man auch Pizza damit backen!)
      LG, Karin

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  3. Das ist ja ein interessantes Experiment. Muss ich wohl auch mal versuchen. Da ich auch Weizen verzichten muss, bietet sich ein solcher Sauerteig sicherlich für die Dinkelbrot an, die können ja Feuchtigkeit gut vertragen :D

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    1. Bestimmt geht so ein Sauerteigansatz auch mit Dinkel, probier es ruhig mal. Ich finde es jedenfalls sehr erfreulich, dass man auch relativ schnell zu einem funktionierenden Starter kommen kann, ohne wochenlang darauf warten zu müssen, dass das Brot auch einen vollen Geschmack hat.
      LG, Karin

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  4. Tolle Experimente.... ich werde das demnächst ausprobieren, da einige angebrochene Gläschen in meinem Kühlschrank schlummern.Danke für die Tipps, ein toller Blog! Wird gespeichert.
    LG.
    Deichnixe

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    1. Danke, liebe Deichnixe, versuch's ruhig mal, und gib nicht gleich auf, wenn dein erster Versuch noch etwas zu wünschen übrig lässt. Wenn du den Ansatz oft genug fütterst, entwickelt er seineTriebkraft.
      LG, Karin

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  5. Hallo liebe Karin,

    bei mir blubbert seit drei Tagen ein mit Milchkefir ansgesetzer Sauerteig.

    Heute werde ich mal versuchen, einen Pizzateig draus zu machen und den Rest weiterfüttern.

    LG

    Mela

    http://touche--a--tout.blogspot.de/

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    1. Wie schön, dass du auch gern experimentierst, Mela! Mein Kefir-Starter lebt jetzt schon seit 3 Jahren, und funktioniert wunderbar - ich backe all meine helleren Brote damit. Er riecht nach jedem Füttern wieder ganz lieblich nach Milch, wirklich ganz erstaunlich.
      Gutes Gelingen, und liebe Grüsse,
      Karin

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